Agile Führung – Bedeutung und Herausforderungen für Führungskräfte

Agilität, ursprünglich ein Begriff aus der Softwareentwicklung, hat sich heute auch als Führungskonzept der mobilen Arbeitswelt etabliert. Was agile Führung konkret ausmacht und welche Anforderungen an eine agile Führungskraft gestellt werden, klären wir im Interview mit Holger Paetsch – Head of Project Management.

Was hat dich bewogen, dich zu einer Führungskraft zu entwickeln?

Ich wurde noch von der althergebrachten Meinung geprägt, dass du nur „was werden“ kannst, wenn du eine Führungsaufgabe übernimmst.

Gab es Chefinnen oder Chefs, die dich besonders inspiriert haben?

Am meisten in Erinnerung geblieben sind mir die Führungskräfte, die ich selbst hatte. Die guten und die nicht so guten – beide haben mich auf ihre Weise inspiriert. Letztere vor allem dadurch, dass ich feststellte: So wie die möchte ich selbst nicht mit Menschen arbeiten.

Wie unterscheidet sich Führungskultur damals und heute aus deiner Sicht?

Früher wurde viel mehr über Hierarchien geführt: Chef sagt, gibt vor, entscheidet, Mitarbeitende setzen um. Heute findet Führung mehr auf Augenhöhe statt. Mitarbeitende haben höhere Ansprüche an autonomes Arbeiten, sehen Vorgesetzte zunehmend als „Primus inter pares” –  also als “Ersten unter Gleichen”. Und in der Kommunikation, der Feedback- und Fehlerkultur tut sich ganz viel. Welcher Chef hat vor 25 Jahren schon nach Feedback gefragt? Heute ist das üblich und Teil einer Unternehmenskultur, die aus der Tech Branche in Kalifornien kommt. Google, Intel, Apple, Git und andere haben hier Veränderungen ermöglicht, die seit Jahren auch nach Europa kommen. Und diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, im Gegenteil: Permanente Veränderung ist Teil des Prozesses geworden. Es findet ein grundlegender Werte- und Kulturwandel statt.

Wie würdest du deinen eigenen Führungsstil bezeichnen? Was zeichnet dich als Führungskraft aus?

Den EINEN Führungsstil gibt es für mich nicht. Wie Führung gelingt, hängt immer von Mitarbeitenden und Führungskräften im Zusammenspiel ab. Und hier vom gegenseitigen Umgang, von Vertrauen, Kommunikation, Empathie, fachlichen Fähigkeiten, Intelligenz, Willen und Reifegrad. 
Am liebsten bin ich der Coach an der Seitenlinie, der das Team auf dem Platz zu Spitzenleistungen bringt. Aber nicht immer ist das die richtige Methode, denn manchmal sind auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und kritische Feedbacks zu äußern. Aus zahlreichen Rückmeldungen – ganz wichtig, Feedback hole ich regelmäßig aktiv ein – habe ich mitgenommen, dass ich über Ausdauer und Empathie verfüge, über eine besonnene, verlässliche, strukturierte Art und eine klare Kommunikation. Ich selbst sehe mich auf einem permanenten (beruflichen) Weg, stehe selten still und versuche, andere mitzunehmen und zu inspirieren. Das Einholen von Feedback aus jeglicher Richtung ist für mich ein ganz wichtiger Schritt und verbessert in jedem Fall das Zusammenspiel aller.

Wie definiert sich für dich Personalentwicklung und was ist dein Beitrag?

Wir entwickeln uns alle immer weiter. Indem ich Menschen gezielt fordere und fördere, auf der Basis von Fähigkeiten, Talent, Ver- und Zutrauen, gebe ich ihnen den Raum, ihre Stärken weiter zu entwickeln. Das ist für mich die aussichtsreichste Art der Personalentwicklung. Mit gemeinsamen Bestandsaufnahmen, Analysen und Feedback leiste ich letztlich Hilfe zur Selbsthilfe.

Immer geht es dabei auch um Kommunikation. Eine gute Kommunikationsfähigkeit bedeutet für mich vor allem Klarheit, um die ich jeden Tag bemüht bin.

Hat sich die Führungsarbeit durch das mobile Arbeiten verändert – Stichwort “Remote Führung”?

Auf jeden Fall. Ob am Kaffeeautomaten, im Teammeeting oder unter vier Augen im Büro, soziale Kontakte in physischer Präsenz sind wichtig. Der Mensch ist ein soziales Wesen und remote work verändert unseren sozialen Umgang miteinander. Bei einem Gespräch im Büro sehe ich die andere Person immer komplett, kann Stimme und Körpersprache wahrnehmen. Das geht per Video nicht so einfach. Manche Inhalte lassen sich zudem über Video einfach schlechter besprechen als persönlich. Da schleichen sich immer mal Einflussfaktoren wie Kinder, Partner, Haustiere oder Paketboten im Hintergrund ein, die ein Gespräch unterbrechen. Und es fällt schwerer, mal eben jemandem über die berühmte Schulter zu schauen, sei es zur Hilfe, zur Kontrolle oder zum Teilen von Wissen.

Wie gelingt Führung in Remote – hast du Empfehlungen?

Corona hat uns gezwungen von heute auf morgen über Distanz zu führen. Es galt, nicht nur die technischen Werkzeuge an die Situation anzupassen, sondern auch die Kommunikation, den Umgang mit Anleitung, Kontrolle und Feedback. Wichtig für Führungskräfte ist aus meiner Sicht, dass sie sich noch intensiver um Mitarbeitende bemühen. Denn man erkennt durch den Bildschirm schlechter, ob jemand auf der anderen Seite gut klar kommt oder vielleicht ein Problem hat. Das war besonders anfangs eine Herausforderung, als der erste Lockdown auf dem Gemüt vieler Menschen lastete. Bei freiwilliger Remote Arbeit ist das vielleicht weniger problematisch, aber dennoch kann ich mein Gegenüber viel schlechter „lesen“. Ich muss als Führungskraft also ausführlicher und vor allem häufiger mit meinen Leuten kommunizieren.

Wie muss sich Führung in Zeiten digitaler Transformation verändern?

„Verändern“ ist das Schlüsselwort – und “Agilität”. Die digitale Transformation ist kein Prozess, der einen Anfang und ein Ende hat. Sie wird sich fortsetzen. Und das definiert die zentrale Anforderung an Führung: sich permanent mitzuentwickeln. Idealerweise zieht also Führung nicht bloß nach und folgt einem Zeitgeist oder Trend, sondern steht als Disziplin für sich allein, eingebettet in den großen wirtschaftlichen Gesamtkomplex, und schafft es, konstruktiv Einfluss auf die digitale Transformation, ihre Auswirkungen und die beteiligten Menschen zu nehmen.

Du nennst das Stichwort “Agilität” – wie definierst du agile Führung?

Agile Führung und ein agiles Mindset sind zwei von vielen Bausteinen. Agile Führung ist nicht einfach ein Synonym für eine moderne, zeitgemäße Führung. Agile Leadership dreht sich im Wesentlichen darum, wie Führung durch den Wandlungsprozess gelingt, unternehmensweit und auch gesamtgesellschaftlich. Meine Definition agiler Führung beinhaltet, auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden zu sein, sie in ihren Stärken zu fördern, Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen und alle Beteiligten möglichst flexibel und reflektiert zu halten. Die Entwicklung von agiler Führung ist für die Neofonie ein zentrales Thema in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess, dem wir uns täglich stellen.

Was ist der Unterschied zwischen Agile Leadership und traditioneller Führung?

Die Fähigkeit zu agiler Führung erfordert die grundlegende Erkenntnis, dass sich so gut wie alles permanent im Wandel befindet, komplexer, stressiger, unberechenbarer ist als noch vor vor 30 oder 40 Jahren. Es gibt keinen einheitlichen roten Faden, kein Schwarz und Weiß. Agile Führung beginnt also damit, dass sich Führungskräfte gut anpassen können. Und diese Führung beginnt immer zuerst bei einem selbst. Wer sich nicht selbst führen kann, sollte nicht andere führen. Und, wie schon gesagt: Menschen suchen heute viel mehr als früher eine sinnstiftende Arbeit, sie wollen begegnen und teilhaben. Diesem Weg folgt auch die Entwicklung von Führung. Früher bekamen Mitarbeitende gesagt, was sie tun sollten und machten das, auch wenn ich das hier gerade stark verallgemeinere. Heute ergeben sich Führungsanforderungen aus den Aufgaben und der Teamdynamik, nicht mehr primär aus der Hierarchie. Wichtig dabei sind Vertrauen, Eigenverantwortung, Commitment, Augenhöhe, offener Diskurs, Fehler- und Feedbackkultur, auch ist das Team wichtiger als das Ego. In Teams mit hohem Reifegrad und viel Erfahrung braucht es eigentlich keine Führungskraft mehr.

Wo lauern besondere Herausforderungen für Führungskräfte durch Agile Leadership?

Traditionelle Führung wird mehr und mehr obsolet. Das alte Bild vom kleinen König oder der kleinen Königin verschwindet. In der Zukunft wird es weniger Führungskräfte brauchen. Das kann jene, die an gewachsenen, eher traditionellen Rollen festhalten wollen, vor Probleme stellen und sie im Zweifel verzichtbar machen. Wie gesagt, Flexibilität ist gefordert.

Neue Arbeitswelt, neue Führung: Welche speziellen Vorteile bietet Agile Leadership aus deiner Sicht?

“Wollen”, “können” und “dürfen” sind drei essentielle Faktoren, die hier mit hineinspielen. Agile Leadership ermöglicht deutlich mehr Können (durch eine permanente Lern- und Entwicklungskultur) und Dürfen. Das beruht auf der These, dass Menschen, die etwas wollen und können, dann mit Passion und Enthusiasmus sehr gute Ergebnisse erarbeiten, wenn man sie (gezielt) lässt.

Das Thema Feedback hast du bereits an einigen Stellen erwähnt. Welche Rolle nimmt es bei einem agilen Führungsstil genau ein?

Feedback ist ein unverzichtbarer Schlüssel. In der Softwareentwicklung sagt man oft: Try, fail fast, learn and repeat. Feedback – und zwar in alle Richtungen, unabhängig von Hierarchien – ist das Mittel, um zwischenmenschlich, organisatorisch, administrativ und strategisch Fehler, Korrekturbedarf oder Entwicklungspotenzial zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen abzuleiten.

Wie förderst und forderst du dein eigenes Team – wie sieht das konkret aus?

Zunächst einmal rede ich viel mit meinen Leuten und sie mit mir. Intensive Kommunikation heißt für mich vor allem Zuhören. Zusammen mit meinem Gegenüber ziehen wir gemeinsam Ansätze heraus, um kleine wie große, fachliche wie persönliche Probleme, Ideen, Fragestellungen und Potenziale zu identifizieren und natürlich anzugehen. Zuhören können ist also eine Eigenschaft, die eine agile Führungskraft erfolgreich macht. Neben ausführlicher Kommunikation ist es wichtig, gegenseitig Vertrauen zu bilden. Das funktioniert über Ehrlichkeit und Berechenbarkeit. Ich trete anderen authentisch gegenüber, so wie ich halt bin. Nach einer Kennenlernphase können sie antizipieren, wie ich wohl auf eine Situation reagiere, weil ich in der Regel gleich reagiere. Und ich bin ehrlich: was ich sage, das mache ich auch. Als Führungskraft lebe ich derartiges Verhalten aktiv vor und wünsche mir das entsprechend zurück. Meist, aber sicher nicht immer, klappt das auch. Zur Wahrheit gehört auch, dass es Menschen gibt, die aus vielerlei Gründen schwer bis gar nicht führbar sind. Hier ist die Führungskraft besonders gefordert.

Welche besonderen Herausforderungen siehst du bei der Umsetzung innerhalb von Neofonie?

Wie überall: Es braucht Bereitschaft und Commitment sowie Entwicklungszeit und Mut zum Lernen: Fehler machen, sie verstehen, weitermachen. Es gibt nicht DEN einen richtigen Weg. Die Neofonie ist unter anderem von einem unaufgeregten Pragmatismus im besten Sinne geprägt. Den braucht es auch für die Entwicklung einer agilen Führungskultur.

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Das Interview führte Susen Rumposch.
Veröffentlichung am 24.02.2022

 

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